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Krisenpolitik muss inklusiv sein! Gesellschaftliche Spaltungen als Herausforderung während COVID-19 in Österreich

 

Krisenmaßnahmen müssen inklusiv gestaltet werden, das heißt, sie müssen alle gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigen – zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Universität Wien. Für große Teile der österreichischen Bevölkerung waren die gesellschaftlichen Spaltungen während der Pandemie eine große Sorge. Insbesondere das Auseinanderdividieren der Bevölkerung durch politische Maßnahmen (etwa zwischen Geimpften und Ungeimpften) führen in Krisenzeiten zu Unruhe, Misstrauen und Widerstand in der Bevölkerung. Die aktuelle Publikation im Rahmen des Projekts SolPan – Solidarität in Zeiten der Pandemie an der Universität Wien, basierend auf 127 Tiefeninterviews mit in Österreich lebenden Personen 2020 und 2021, zeigt, dass die Studienteilnehmer:innen in dieser gesellschaftlichen Polarisierung auch eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung und dem Aufstieg populistischer Bewegungen sahen.

Wir müssen den Zusammenhalt in der Bevölkerung stärken, denn wenn schwierige Zeiten kommen, so wie jetzt [...], müssen wir irgendwie den Gemeinschaftsgeist wieder kultivieren, wir werden ihn brauchen für Maßnahmen gegen den Klimawandel, wir werden ihn brauchen für zukünftige Krisen, also diese Spaltung ist sehr schlecht, ich finde sie sehr dumm.“ (Interview Oktober 2021 mit einer Frau über 50, die mit ihren kleinen Kindern in einer Großstadt in Österreich lebt)

Die Menschen waren während COVID-19 in Österreich besorgt über soziale Spaltung und Ausgrenzung (unabhängig von ihrer Einstellung zur Impfung), so eine Studie der Forschungsgruppe für Zeitgenössische Solidaritätsstudien (CeSCoS) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Die aktuelle Publikation unter der Leitung von Dr. Isabella M. Radhuber basiert auf insgesamt 127 Tiefeninterviews, die 2020 und 2021 während der COVID-19 Pandemie mit denselben Personen in Österreich geführt wurden. Die Studie verdeutlicht, dass die gesellschaftliche Polarisierung in dieser Krise bereits 2020 und 2021 bei der Bevölkerung tiefe Besorgnis auslöste. Gleichzeitig regte dieses Polarisierungsphänomen Überlegungen bei den Interviewten an, wie künftige Krisen – etwa der Klima-Notstand – besser bewältigt werden können. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Notwendigkeit inklusiver politischer Maßnahmen, die trennende Unterscheidungen (wie jene zwischen geimpften und ungeimpften Menschen) vermeiden. Andernfalls drohen Unruhe, Misstrauen und Widerstand in der Bevölkerung – die von populistischen Parteien ausgenützt werden können. Die Studie wurde im Rahmen des Forschungsprojekts Solidarität in Zeiten einer Pandemie durchgeführt, das 10 europäische und 12 lateinamerikanische Länder umfasst und von Prof. Barbara Prainsack, Dr. Isabella Radhuber und Dr. Gertrude Saxinger geleitet wird. 

Während der COVID-19 Pandemie standen die Aufrufe von Politiker:innen und Gesundheitsexpert:innen zum Zusammenhalt in krassem Gegensatz zu den zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen zwischen geimpften und ungeimpften Menschen. In den ersten 18 Monaten der Krise veränderte sich das soziale Umfeld vieler Menschen spürbar. Sie erlebten sich zunehmend in sozialen Blasen, die durch Impfeinstellungen und -verhalten definiert waren, und berichteten, wie kollegiale, freundschaftliche und familiäre Beziehungen daran zerbrachen. Ohne dass die Forscher:innen gezielt danach gefragt hätten, äußerten viele Interviewpartner:innen die Sorge, dass Maßnahmen wie ein Lockdown ausschließlich für Ungeimpfte den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig gefährden können. Diese Befürchtung war so ausgeprägt, dass einige Menschen Maßnahmen ablehnten, die sie unter anderen Umständen befürwortet hätten. Ein Mann mittleren Alters, der mit seinen Kindern in einer Großstadt lebt, brachte dies auf den Punkt: “Ich weiß, dass eine Impfpflicht bei vielen Menschen nicht gut ankommen würde. Ich bin also nur deshalb dagegen, weil ich weiß, dass ich viele Leute zu sehr verärgere. Aber ansonsten bin ich natürlich voll dafür.” Solche trennende Unterscheidungen bei politischen Maßnahmen sowie inkohärente und zwingende Regelungen wurden in Österreich vielfach als Treiber sozialer Spaltung wahrgenommen. 

Unsere Interviewpartner*innen beschrieben zudem, wie die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und die Partei Menschen – Freiheit – Grundrechte (MFG) gesellschaftlichen Widerstand gegen die Impfpolitik, Schutzmaßnahmen und die letztlich nicht umgesetzte Impfpflicht schürten. Unter den Interviewpartner:innen war die Meinung weit verbreitet, dass es unverantwortlich sei, diese Widerstandshaltungen zur Mobilisierung von Wählerstimmen zu instrumentalisieren. Gleichzeitig wurde kritisiert, dass diese Emotionen in der politischen Kommunikation der regierenden Parteien stärker hätten adressiert werden müssen. Eine Interviewte bezeichnete die Anti-Impfhaltungen als eine Form des „subtilen Widerstands“ gegen die politischen Maßnahmen der Regierung. 

Vor diesem Hintergrund zeigt diese Studie, dass gesellschaftliche Spaltungen ein erhebliches Hindernis für den Erhalt der öffentlichen Gesundheit in Krisenzeiten darstellen. Sie unterstreicht die Notwendigkeit einer inklusiven Krisenpolitik – und einer Berücksichtigung der sozialen Polarisierung in Krisenzeiten –, um künftige Herausforderungen wie den Klimanotstand wirksam zu bewältigen. Diese Analyse deckt sich mit internationalen Entwicklungen und verdeutlicht die Notwendigkeit inklusiver Politik in Zeiten von Krisen auch in Österreich. 


Diese Studie wurde in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht

Radhuber, I., Kieslich, K., Paul, K., Saxinger, G., Ferstl, S., Kraus, D., Roberts, S., Varabyeu Kancelová, N., Prainsack, B. (2024). Why ‘Inclusive Policymaking’ Is Needed During Crises: COVID-19 and Social Divisions in Austria. SSM Qualitative Research in Health. https://doi.org/10.1016/j.ssmqr.2025.100539 

Foto von Tim Marshall auf Unsplash